NOTAS DE CUBA Das eine oder das andere
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Von Ken Merten
Zeugnisse der Aggression: Das Museum am »Memorial de la Denuncia« dokumentiert die konterrevolutionären Aktionen der USA
Von der Sohle meiner Adilette getroffen, klebt ein Mosquito ganze zehn Minuten an der Wand neben dem Schreibtisch meines Zimmers, ehe die Ameisen beginnen, den Leichnam zu demontieren. Zwei Stunden später ist nichts übrig, was man hätte überstreichen müssen.
Wieder zwei Stunden später sind wir von der Bushaltestelle unterwegs zum »Memorial de la Denuncia«. Botschaftsviertel: Nigeria, Venezuela, Mexiko, vor der französischen Botschaft stehen sie, warum auch immer, an.
Das interaktive Museum, das wir besuchen, zeigt die Aggressionen und Putschversuche des US-Imperialismus seit der erfolgreichen Revolution Kubas. Die Liste ist lang: Allein 637 Anschlagspläne werden gezählt, die mit Fidel Castro Ruz einer Person gelten. Überlebt hat er sie alle, jede Sprengstoffzigarre, jeden vergifteten Taucheranzug und den Sprengstoffanschlag auf einer Konferenz in Panama 2000. »Wenn das Überleben von Mordanschlägen eine olympische Disziplin wäre, würde ich die Goldmedaille gewinnen«, sagte Castro über die Serie des Scheiterns, ihm vorzeitig das Leben zu nehmen.
Beim Umbringen war die Reaktion an anderer Stelle erfolgreicher: Am 4. März 1960 detonierten im Hafen Havannas auf dem in Kanada gebauten und mit belgischen Militärgütern beladenen französischen Transportschiff »La Cubre« zwei Bomben – eine so getimt, dass sie während der Rettungsarbeiten zündete. Circa 100 Menschen kamen ums Leben. Dem Anschlag folgte Ikonisches: Das Foto des Trauermarschs zeigt Castro, den bis 1976 amtierenden Staatspräsidenten Osvaldo Dortivós Torrado und Ernesto »Che« Guevara eingehakt als erste Reihe. Auch Simone de Beauvóir und Jean-Paul Sartre waren auf der Trauerfeier vertreten, bei der Fidel Castro erstmals agitatorisch betonte, dass es nur das eine, oder das andere gebe: »Patria o Muerte!«
Das mit der Interaktivität ist nicht gesponnen: Die Ausstellung entspricht jugendlichen Konsumgewohnheiten, auf einem Bildschirm lassen sich mit Fingerwischen die digitalisierten Tatwaffen der antikubanischen Terroristen näher betrachten. Darunter eine im Jahr 1994 benutzte Walther P.38, die Standardpistole der Wehrmachtsoffiziere – nimmt man wohl als Antikommunist.
Nicht nur Mordwerkzeug wird ausgestellt, auch auf die titelgebende Denunziation wird eingegangen: 14.000 Kinder verschleppten Anfang der 60er CIA und katholische Kirche, die kubanischen Eltern weismachten, die Revolution plane eine Reform, die ihnen die Kinder wegverstaatliche. Statt dessen kamen die Kinder in Priesterhände in den USA, da ging es ihnen entsprechend, viele sahen ihre leiblichen Eltern nie wieder.
Und sie locken weiter: Das Glücksversprechen kommt mit dem Braindrain einher. Während Flüchtende aus anderen Ländern Lateinamerikas schnellstmöglich wieder aus den USA abgeschoben werden, erhalten Kubanerinnen und Kubaner einen Sonderstatus – manchen wird deswegen unterwegs der kubanische Pass gestohlen. Kuba ist schließlich nicht nur systemischer Feind, sondern hat auch ein attraktives Fachpersonalregister. Die hochgebildete Gesellschaft erzeugt Begehrlichkeiten, sie abzuschöpfen.
Zu Hause machen wir es uns bequem und schauen den spanisch-kubanischen Film »Juan of the Dead« aus 2011. Juan darin (Alexis Díaz de Villegas) ist der ideelle Gesamtkubaner: gemütlich, gesetzedehnend, leiderfahren. »Überlebenskünstler« nennt er sich im Film, was sagen soll, dass er da etwas über das eigentlich Schaffbare hinaus schafft, etwas Umstandswidriges. Als in Havanna die Zombieapokalypse ausbricht, gründet er ein mittelständisches Hinrichtungsunternehmen am Staate vorbei – eine Auftragsanfrage lehnt er ab, der Infizierte scheint ihm zu ranghoch. »Nein, Genossen, macht ihr das mal selber!«
Die staatliche Fehlbezeichnung der Zombies als »Dissidenten« in der Horrorkomödie ist zu vielschichtig, um sie allein als Regierungskritik ausgelesen zu haben – schließlich richten subversive Elemente faktischen Schaden an; was haben wir nicht gesehen im Museum am Nachmittag? Als es schließlich nicht mehr geht und die Flucht von der Insel ansteht, Juan, er … ach, das wäre Spoiler!