Castillo geht in die Offensive
Im Streit um eine neue Verfassung geht die Regierung von Perus Präsidenten Pedro Castillo nun in die Offensive: Am Dienstag hat Premierminister Aníbal Torres einen Gesetzentwurf zur Bildung einer verfassunggebenden Versammlung vorgelegt. Darin wird eine Volksabstimmung über ihre Einrichtung vorgeschlagen. Die Ablösung der neoliberalen Konstitution durch ein neues Grundgesetz war eines der zentralen Wahlversprechen Castillos.
»Viele Dinge werden über die verfassunggebende Versammlung gesagt, aber ich möchte hervorheben, dass dieser Gesetzentwurf nicht gegen gültige Verfassungsnormen verstößt«, so Torres vor dem peruanischen Kongress. Damit versuchte er dem Protest der Opposition zuvorzukommen. Diese hatte erst im Januar die Möglichkeiten zum Abhalten von Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen erheblich eingeschränkt. Ein nationales Referendum kann somit nur noch mit Zustimmung des Parlaments abgehalten werden. Dort verfügt die rechte Opposition über die Mehrheit.
Die derzeit gültige Verfassung war 1992 von einem Gremium erarbeitet worden, das Präsident Alberto Fujimori in Eigenregie hatte wählen lassen. Ein Jahr zuvor hatte er mit Hilfe des Militärs sowohl die legislative als auch die judikative Gewalt ausgeschaltet und auf sich vereint. Beobachter schätzten die Wahl von 1992 sowie die Absegnung der neuen Verfassung durch eine Volksabstimmung 1993 als weder frei noch fair ein.
Premierminister Torres betonte in seiner Rede am Dienstag: »Das Volk hat ein natürliches Recht auf eine verfassunggebende Versammlung.« Sie solle sich aus Vertretern der Parteien sowie unabhängigen Kandidaten, Vertretern indigener Völker und der afroperuanischen Minderheit zusammensetzen – ähnlich wie der im vergangenen Jahr im Nachbarland Chile gebildete Verfassungskonvent.
Das Einlösen des Wahlversprechens könnte für die Regierung eine letzte Möglichkeit sein, die Dauerkrise in Peru zu beenden. Zuletzt war bei landesweiten Protesten gegen die Preissteigerungen – bedingt durch den Ukraine-Krieg und die westlichen Sanktionen gegen Russland – die Forderung nach einer neuen Verfassung wieder lauter geworden. Präsident Castillo, der bislang so gut wie keines seiner linken Wahlversprechen in die Tat umgesetzt hat, war Mitte April gemeinsam mit seinem Kabinett nach Cusco gereist, wo ein Generalstreik des Peruanischen Arbeitergewerkschaftsbunds das öffentliche Leben zum Stillstand gebracht hatte. Bei einem Treffen mit Gewerkschaftsvertretern und Protestierenden kündigte Castillo überraschend an, noch in diesem Jahr eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung abzuhalten.
Interne Streitereien und Spaltungen mit drei Kabinettswechseln in zehn Monaten Regierungszeit sowie der ständige Druck der rechten Opposition, etwa durch zwei gescheiterte Amtsenthebungsverfahren, hatten es seiner Regierung bislang erschwert, aktiv Politik zu gestalten. Das Eingehen auf die Forderungen der Massenproteste könnte dem politisch isolierten Präsidenten wieder Aufwind verschaffen.
Allerdings plant die Opposition bereits den Gegenschlag: Vergangene Woche hatte die Abgeordnete Digna Calle von der Partei Podemos einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für März 2023 Neuwahlen vorsieht – sowohl für das Präsidentenamt als auch für den Kongress. Das Land werde von einer politischen und wirtschaftlichen Krise erschüttert, die das Ergebnis der »Unfähigkeit der Regierung« sei, betonte Calle schriftlich in der Vorlage.