Die Propheten aus Guruland
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Es macht keinen Sinn zu glauben, dass die „Gurus“ der kubanischen Wirtschaft, die von denen unterstützt werden, die uns seit mehr als 60 Jahren auszuhungern versuchen, in der Lage sind, Regeln für den Wohlstand aller aufzustellen, indem sie sich auf die Lehren eines Systems wirtschaftlicher Beziehungen berufen, in dem nur eine kleine Anzahl von Menschen als „Gewinner“ einer großen Mehrheit von „Verlierern“ gegenüberstehen
Autor: Antonio Rodríguez Salvador |
Nach Ansicht des renommierten amerikanischen Essayisten, Forschers und Finanziers Nassim Nicholas Taleb ist der erste Schritt zur Lösung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise die Abschaffung des Nobelpreises für Wirtschaft. Das ist natürlich Sarkasmus, aber hinter dem scheinbaren Sophismus verbirgt sich eine schmerzliche Wahrheit. Es erscheint unsinnig anzunehmen, dass solche Visionäre in der Lage sind, in einem System wirtschaftlicher Beziehungen, in dem nur eine kleine Anzahl von Menschen als „Gewinner“ einer großen Mehrheit von “Verlierern“ gegenüberstehen, Regeln des Wohlstands für alle aufzustellen.
Die ehemalige argentinische Präsidentin Cristina Fernández sagte bei der Vorstellung ihres autobiografischen Buches “Sinceramente” auf der Buchmesse in Havanna 2020: „Ein System von Kommunikationsmedien präsentiert sie uns als die „autorisierten Stimmen“, als sei die Wirtschaft eine okkulte Wissenschaft, in der die Gurus oder Zauberer des Stammes den einfachen Menschen erklären, was sie zu tun haben.
Aber wenn die Daten zeigen, dass 1 % der Weltbevölkerung so viel Reichtum anhäuft wie die restlichen 99 %, sollten uns diese Experten dann nicht erst einmal erklären, warum ihre magischen Formeln dazu geführt haben, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind? Könnte es sein, dass man uns gezinkte Tarotkarten ausgeteilt hat ?
Die Technik, die diese Gurus anwenden, um uns zu täuschen, ist Jahrtausende alt. Wie die Pythonin des Orakels von Delphi oder die Sibylle von Cumae bedienen sie sich einer gewissen esoterischen Sprache, die reich an zweideutigen, verschlungenen Ausdrücken ist, die zwar so etwas wie Begründungen liefern, aber nie deren Klarheit erreichen, so dass die endgültige Interpretation vom guten Glauben oder der Glaubwürdigkeit des Empfängers abhängt.
In Kuba gibt es keinen Mangel an Gurus, die uns jeden Tag die besten Wege nach Ophir zeigen: die berühmten Minen König Salomons, die reich an Gold, Silber und Edelsteinen sind. Gerade las ich zum Beispiel in einem bestimmten konterrevolutionären Medium, das von den Vereinigten Staaten finanziert wird, die erstaunlichen Rezepte von Dr. Mauricio de Miranda Parrondo, einem Professor an der Päpstlichen Universität Xaveriana in Cali.
Nachdem er uns das “durchschlagende Scheitern“ unseres Systems „demonstriert“ hatte, erklärte er uns, wie man ein solches Desaster beheben könnte. Als Erstes müsse unser Wirtschaftsmodell, bei dem der Staat die Verteilung von Grundbedarfsgütern zentralisiert – eine Frage von Leben und Tod für ein blockiertes Land -, abgebaut und in private Hände gelegt werden. Mit anderen Worten: Die Lösung wäre, den Garten Eden des Marktgottes zu betreten, wo, wenn man die Bäume schüttelt die IPhones und Mercedes Benz herabfallen. So wie bei dem Slogan aus den 1950er Jahren, als halb Kuba hungerte, hieß: Auch Sie können einen Buick haben!
Ein altes Sprichwort besagt, dass die Kutte nicht den Mönch macht. Ich erwähne dies, weil wir Herrn Parrondo trotz seiner Verantwortung als Professor an einer kolumbianischen Universität, die dem heiligen Franz Xaver geweiht ist -ein Jesuitenmissionar und Anwalt der Armen -, nie sehen, wie er aus dem Fenster seiner Wohnung schaut, um uns zu erklären, wie man das Elend um ihn herum lindern kann.
Im Dezember letzten Jahres legte die ANDI-Kammer der Lebensmittelindustrie in Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Netzwerk der Lebensmittelbanken (Abaco) eine Studie über die Ernährungssituation in Kolumbien vor, aus der hervorging, dass vor der Pandemie 54,2 % der Bevölkerung mit einem bestimmten Grad an Ernährungsunsicherheit lebten und rund 560.000 Kinder an chronischer Unterernährung litten.
Allein in La Guajira sind im vergangenen Jahr 40 Kinder verhungert. In anderen Departements ist die Lage ebenfalls ernst: In Chocó starben 17 Kinder an Ursachen, die mit schwerer Unterernährung in Verbindung stehen, in Magdalena 13 und in Cesar 11. Nach Angaben des Nationalen Gesundheitsinstituts (INS) wurden bis zur 32. Woche des Jahres 2021 8.545 Fälle von akuter Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren gemeldet.
Kolumbien ist das zweitgrößte Land Lateinamerikas mit den größten Wasserressourcen und der größten klimatischen Vielfalt. Außerdem verfügt es über 40 Millionen Hektar, die für den Anbau jeglicher Art von Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen – Ressourcen, um die es jedes andere Land der Welt beneiden würde. Aber, nun gut, dieser Guru macht sich Sorgen um Kuba, wo es keine Unterernährung bei Kindern gibt.
Da läge doch die Frage nahe: Warum funktionieren die Rezepte von Herrn Parrondo in Kolumbien nicht? Hat es etwas mit dem Ozonloch zu tun oder ist es wegen der Ektoplasmen, die in bestimmten geografischen Koordinaten nicht gut fließen? Wir wollen keine Vermutungen anstellen: Vielleicht liegt es nur daran, dass wir uns in der Gegenwart eines postmodernen Mönchs befinden, dessen fromme Arbeit nicht vor Ort, sondern online verrichtet wird, wie es sich für das Internetzeitalter gehört.
Mauricio de Miranda erklärt weiter: „Ich habe bereits die Einführung eines flexiblen Wechselkurses mit einer Interventionsspanne der Zentralbank vorgeschlagen, was der Minister mit der Begründung abgelehnt hat, dass dies “Beeinträchtigungen für den größten Teil der Bevölkerung“ mit sich bringen würde. Was für ein ermüdendes Konstrukt: „flexibler Wechselkurs“, „Interventionsband der Zentralbank“ und schließlich der böse Minister, der etwas so Einfaches und so Effektives für die Gesundheit der Volkswirtschaft nicht erkennt.
Aber was empfiehlt uns dieser Mann wirklich? Zunächst sei klargestellt, dass er nicht der einzige Experte ist, der eine solche unpopuläre Maßnahme vorschlägt, die typisch für die so genannten „Schocktherapien“ ist, eine Erfindung des liberalen Ökonomen Milton Friedman, sondern dass in letzter Zeit eine ganze Monochord-Bruderschaft von „Mönchen“ wie bei einem gregorianischen Choral immer dasselbe wiederholt.
Im Klartext bedeutet der Vorschlag eine Abwertung des kubanischen Peso gegenüber dem Dollar, so dass der Wechselkurs von 24 zu 1 auf, sagen wir, 48 zu 1 steigt. Der uninformierte Leser könnte sagen: Perfekt, so könnte der informelle Wechselkurs sinken. Aber Vorsicht, nicht dem ersten Eindruck vertrauen! Das erste, was passieren wird, ist, dass die Preise in die Höhe schießen werden, während Sie weiterhin das Gleiche verdienen.
So würde beispielsweise der Preis für Benzin, der heute 30 Pesos pro Liter beträgt, auf 60 Pesos pro Liter steigen, ohne dass die Differenz aus dem Staatshaushalt gedeckt wird: Wenn Sie also in einen „Almendrón“ einsteigen, wird der Fahrer Ihnen sagen: Tut mir leid, mein Freund, aber ich brauche mehr Geld für das Benzin, also kostet die Fahrt nicht mehr 20, sondern 40 Pesos.
Kurzum, alle Kraftstoffe würden in Landeswährung doppelt so viel kosten. So würden sich auch Strom, Verkehr, Gas, das Datenpaket fürs Internet und sogar Hühnerfleisch und Reis auf den Lebensmittelbezugsscheinen, der Libreta, im Preis verdoppeln, da sich die Preise all dieser Produkte auf ihren Gegenwert auf dem Weltmarkt beziehen.
Aber das ist nicht alles. Der Bauer wird Ihnen sagen: Es tut mir leid, dass ich den Preis für Malanga und Süßkartoffeln verdoppeln muss, aber der Strompreis für die Bewässerung ist in die Höhe geschossen, und auch der Preis für den Treibstoff für den Traktor, und dann wird Ihnen der Betreiber der Cafeteria dasselbe sagen, und jeder, der ein Geschäft hat, und schließlich erinnere ich Sie noch einmal daran, dass Ihr Gehalt in Landeswährung gleich bleibt.
Nach Lord Byron ist die Vergangenheit die beste Prophezeiung für die Zukunft. Ich meine, wir haben bereits gesehen, wohin Schocktherapien in den Ländern, in denen sie angewandt wurden, geführt haben. Sie treffen immer in erster Linie die Taschen derjenigen, die von ihrem Gehalt leben müssen.
Falls wir noch irgendwelche Zweifel über das gehabt hätten, was sich hinter solchen Orakeln verbirgt, so hat die US-Botschaft in Havanna vor einer Woche diese selbst ausgeräumt, in dem sie sich auf Twitter sich in alle Himmelsrichtungen darüber beklagte, dass die kubanische Regierung ihre Wirtschaftsexperten ignoriere.
Auf welche Ökonomen beziehen sich diejenigen, die seit mehr als 60 Jahren versuchen, uns auszuhungern und zu unterwerfen? Natürlich nicht auf die Tausenden, die sich täglich darum bemühen, unsere Unternehmen effizienter zu machen und mehr Produkte zu erzeugen: die einzige Möglichkeit, um zu prosperieren und die Inflation zu besiegen. Sie beziehen sich auf ihre erleuchteten Gurus, die nur versuchen, den Wind zu säen, damit wir den Sturm ernten. Wie die juristische Maxime besagt: Wenn die Parteien ein Geständnis ablegen, bedarf es keiner Beweise mehr.