Vor Parteitag: Díaz-Canel stellt neues Regierungsmodell vor
Veröffentlicht am 3. März 2021
In weniger als zwei Monaten wird Kubas regierende Kommunistische Partei (PCC) ihren VIII. Kongress abhalten. Am morgigen Donnerstag sollen die Delegierten des alle fünf Jahre stattfindenden Parteitags gewählt werden, der sich neben Wirtschaftsthemen diesmal vor allem der langfristigen Entwicklung des Staatsapparats widmen wird. Nach Ankündigung der ökonomischen Veränderungen wurden inzwischen Details zu einer geplanten Reform des Regierungssystems bekannt.
Staatlicher Fokus auf Innovation
Dass ein amtierender Präsident eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, ist auch auf Kuba nicht alltäglich. Wenige Wochen vor Beginn des Parteitags meldete sich Kubas Staatsoberhaupt Miguel Díaz-Canel mit einem Paper zu Wort, welches in Zusammenarbeit mit Mercedes Delgado Fernández, Rektorin von Havannas Hochschule für Staats- und Regierungskader, entstand und jüngst auf dem Nachrichtenportal „Cubadebate“ erschienen ist (→ Publikation in der Zeitschrift Universidad & Sociedad, 800KB PDF). Darin stellen die Autoren Eckpfeiler eines neuen Regierungsmodells vor:
Schema von Díaz-Canel u. Delgado Fernández zum MGGI (Quelle: Cubadebate)
Mit dem „Modelo de Gestión del Gobierno orientado a la innovación (MGGI)“, übersetzt etwa: Innovationsorientiertes Regierungsverwaltungsmodell, präsentiert Díaz-Canel sein politisches Korrelat zu den laufenden „Wirtschaftsaktualisierungen“ der sozialistischen Insel. Dabei geht es im Kern um ein neues administratives Framework, welches Innovationsprozesse fördern und die Umsetzung ökonomischer Zielstellungen wie die Steigerung der Exporte und die Einbindung Kubas in globale Wertschöpfungsketten verbessern soll. Wesentliche Schlüsselkonzepte des unter dem Leitmotiv „Flexibilität, Agilität und Dynamik“ stehenden Ansatzes sind die Neutarierung des Verhältnisses von lokalen und zentralen Befugnissen sowie die Verzahnung von Forschung und Produktion. Als konkrete Maßnahmen werden hierzu beispielsweise die Gründung von Innovationsclustern, Technologieparks und Sonderwirtschaftszonen mit Schnittstellen zu den Universitäten genannt. Ein weiteres Beispiel ist die Nutzung des „One-Stop-Shop“-Verfahrens, bei dem alle Behördengänge an einer Stelle erfolgen und welches jetzt auch bei der Genehmigung privater Unternehmensgründungen angewandt wird.
Die Implementierung des MGGI unterteilt sich in kurzfristige, mittelfristige und langfristige Pläne und umfasst Aspekte wie Personalpolitik, Evaluationsmechanismen, institutionelle Reformen und Digitalisierung (E-Government). Die Aufgabe der Staatsorgane wird neu zugeschnitten, und in Übereinstimmung mit der neuen Verfassung die Autonomie von Gemeinden und Provinzen erhöht. Die Verwaltung soll durch das MGGI nicht nur agiler, sondern auch professioneller und transparenter werden, womit die „Umsetzung und Überprüfung des sozialistischen Entwicklungsmodells“ durch konstante wissenschaftliche (Re-)Evaluation sichergestellt werden soll, heißt es in der Abhandlung. In einem ersten Schritt wurde hierzu Mitte Februar ein neues Gesetz verabschiedet, welches die Bildung von Berater- und Expertengremien auf allen Ebenen der Verwaltung und in Institutionen vorsieht.
Erstmals werden in einem kubanischen Regierungsdokument von höchster Stelle Erfahrungen aus China und Vietnam als positive Referenz für die Weiterentwicklung des eigenen Modells ausgewertet. Auch Deng Xiaopings berühmter Ausspruch: „Den Fluss überqueren, indem man sich Stein für Stein vorantastet“ wird in dem Paper zitiert. Vergleichend wird der 2011 gestartete Prozess der „Wirtschaftsaktualisierungen“ mit Chinas „Reform und Öffnung“ (ab 1978) und Vietnams „Erneuerung“ (ab 1986) untersucht und in der Systemfamilie der Reformsozialismen verortet (siehe Tabelle).
Tabelle: China, Vietnam und Kuba im Vergleich (Quelle: Cubadebate)
Darin wird Kubas Wirtschaftssystem aktuell als „Planwirtschaft, die den Markt berücksichtigt“ charakterisiert und als Hauptwiderspruch die „Befriedigung der wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung“ genannt. Als wichtige entwicklungsökonomische Zielstellungen des neuen Modells wurden unter anderem die Steigerung von Produktivität, Qualität und Exportkraft, sowie Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit im Kontext nachhaltiger Entwicklung herausgearbeitet.
Öffentliches Meinungsbild zur Währungsreform
Am selben Tag, an dem die Arbeit auf „Cubadebate“ veröffentlicht wurde, startete das Portal eine Meinungsumfrage zur laufenden Währungsreform, was angesichts der Neuerungen kein Zufall zu sein scheint. Weniger als 24 Stunden nach Start der Erhebung (deren Teilnehmerzahl nicht ausgegeben wird), hatte sich die Umfrage mit weit über 1000 Kommentaren zum meistdiskutierten Artikel in diesem Jahr entwickelt. Empirische Sozialforschung findet auf Kuba schon seit vielen Jahrzehnten statt, die zeitnahe Veröffentlichung von Umfragen zu sensiblen politischen und ökonomischen Themen in den Medien ist jedoch ein Novum – das einigen offenbar zu weit ging: inzwischen wurde die Seite wieder gelöscht.
Umfrage zur Währungsreform auf dem Nachrichtenportal „Cubadebate“
Auch wenn die Erhebung nicht repräsentativ ist, spiegelte sich die schwierige ökonomische Lage vieler Haushalte in den Ergebnissen wider: So erachten zwar 72 Prozent der Befragten die Währungsreform als „notwendig für die Wirtschaft des Landes“, allerdings sind fast genauso viele (68 Prozent) der Ansicht, dass die neuen Löhne nicht ausreichend zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse seien. Nur 11 Prozent gaben an, allein mit ihrem Lohn bzw. der Rente die grundlegenden Dienstleistungen und Waren des täglichen Bedarfs erwerben zu können, 44 Prozent gelingt dies teilweise. Auf die Frage, welche Auswirkungen die Währungsreform auf die Erwerbstätigkeit hat, gaben 79 Prozent an, ihren Arbeitsplatz zu behalten. 8 Prozent der Umfrageteilnehmer kreuzten an, auf Arbeitssuche zu sein, 6 Prozent wurde gekündigt und 5 Prozent sind nicht an der Aufnahme einer Stelle interessiert. Wenig überraschend vertraten 99 Prozent die Auffassung, dass die Preise überall oder zumindest teilweise gestiegen sind. Interessant ist die Frage nach der Ausgabenstruktur der Personen, bei der Mehrfachnennungen möglich sind: So gaben 48 Prozent an, den größten Teil ihrer Einkünfte für Lebensmittel aufzuwenden, gefolgt von Nebenkosten wie Strom, Gas und Wasser (25 Prozent), Hygieneprodukten (18 Prozent) und Transport (6 Prozent).
Abschluss des Generationenwechsels
Die Aufgaben des kommenden PCC-Parteitags, der am 16. April beginnt, könnten schwieriger kaum ausfallen. Zwei Monate nach Beginn der Währungsreform ist die Versorgungslage weiter extrem angespannt. Noch hält sich die Inflation in Grenzen, doch das Angebot in den Geschäften ist dünn und die Schlangen lang. Neben der Weiterentwicklung der Wirtschaftspolitik und der Öffnung des Privatsektors sollen in diesem Umfeld schwierige Strukturreformen und der lange vorbereitete Generationenwechsel an der Spitze angegangen werden. Nach zwei Amtszeiten wird Generalsekretär Raúl Castro voraussichtlich nicht mehr für dieses Amt kandidieren. Der 89-jährige deutete bereits an, den Posten an Díaz-Canel übergeben zu wollen. Damit wird der 2016 eingeleitete Prozess der „geordneten Übergabe an die nächste Generation“ demnächst zum Abschluss gebracht.
Einen ersten Einblick in die Ideen, mit denen Díaz-Canel das Land aus der Krise führen will, hat der studierte Elektronikingenieur mit dem „innovationsorientierten Regierungsverwaltungsmodell“ inzwischen gegeben. Dabei wurde das Rad nicht neu erfunden, sondern überwiegend auf erprobte Konzepte aus China und Vietnam zurückgegriffen. Anders als bisher wird jetzt allerdings zum ersten Mal direkt auf die jeweiligen Modelle Bezug genommen. Offen bleibt, wie schnell die Reform der Institutionen und der angestrebte Mentalitätswandel in Wirtschaft und Verwaltung in der Praxis vonstatten gehen werden. Die ebenso schnelle Veröffentlichung wie Löschung der Währungsreform-Umfrage deutet darauf hin, dass im Vorfeld des Parteitags in einigen Fragen offenbar noch kein Konsens besteht. Wie das Parteiorgan „Granma“ berichtet, liegen die Dokumente und Beschlussvorlagen des Parteitags bereits vor und würden noch diese Woche an die Delegierten weitergeleitet. Weitere Details sollen „in den kommenden Tagen“ bekannt gegeben werden.