Nicht eingeschüchtert
Bolivien: Trotz Drohungen und Repression gehen Protestaktionen gegen Putschregierung und für baldige Wahl weiter
Von Volker Hermsdorf
Am heutigen Donnerstag begeht Bolivien den 195. Jahrestag seiner Unabhängigkeit und Staatsgründung im Generalstreik. Die am Montag begonnenen landesweiten Aktionen richten sich gegen die Verschiebung der für den 6. September angekündigten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auf den 18. Oktober und werden trotz heftiger Drohungen des Putschistenregimes fortgesetzt. Örtlichen Medien zufolge hatten Gewerkschafter und Aktivisten am zweiten Tag der Proteste bereits 75 Verbindungsstraßen und Brücken blockiert.
Der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes COB, Juan Carlos Huarachi, kündigte an, die Protestaktionen in den nächsten Tagen auf alle neun Departamentos des Landes auszuweiten. Die Organisatoren des Streiks unterstrichen zugleich, dass Krankenwagen und Fahrzeuge mit Medikamenten, Sauerstoffflaschen und anderen medizinischen Produkten die Straßensperren ungehindert passieren können. »Mit unseren Aktionen kämpfen wir auch für eine bessere Gesundheitsversorgung. Wir werden Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen keinen Schaden zufügen«, versicherte Huarachi.
De-facto-Innenminister Arturo Murillo hatte behauptet, dass »Menschen an Sauerstoffmangel sterben«, weil Transportfahrzeuge blockiert werden. »Die Anführer des Streiks wollen Tote und Verletzte«, heizte Murillo die Stimmung am Dienstag in der Tageszeitung Opinión weiter an. Auf die von seinen Einsatzkräften unterdrückten Proteste nach dem Staatsstreich gegen den gewählten Präsidenten Evo Morales im November 2019 verweisend, verbreitete der Politiker, die Streikenden würden »genauso handeln wie im November, indem sie ihre Kameraden selbst töten, um sie als Trophäen zur Schau zu stellen«. Zudem verlangte er, die Protestaktionen einzustellen und alle Blockaden unverzüglich aufzuheben. »Wenn sie es nicht beenden, werden wir es tun.« Laut dem bolivianischen Onlineportal La Resistencia waren Polizeieinheiten und Spezialkommandos der Streitkräfte bereits in der Stadt El Alto und auf der Fernstraße zwischen Oruro und Potosí gegen Streikposten vorgegangen. Dabei seien »Misshandlungen und Verletzungen registriert worden«.
Während private Konzernmedien die Aktivisten kriminalisieren, setzt das Regime auch auf deren juristische Verfolgung. »Präsidialminister« Yerko Núñez hat wegen der »Unterstützung des Streiks und der Blockaden« Strafverfahren gegen COB-Generalsekretär Huarachi, den Anführer der Kokabauern von Cochabamba, Leonardo Loza, die Fraktionsvorsitzende der früheren Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS), Betty Yañiquez, und Morales eingeleitet. »Ich lasse mich davon nicht einschüchtern«, versicherte Gewerkschaftschef Huarachi und kündigte eine Ausweitung der Aktionen an.
Ungeachtet der zunehmenden Repression durch das Regime haben auch Mitglieder verschiedener Jugendorganisationen vor dem Gebäude des Obersten Wahlgerichts (TSE) mit einem Hungerstreik begonnen. Die Jugendlichen fordern vom TSE die Durchführung der Wahlen am 6. September. Ihr Ziel sei die Wiederherstellung der Demokratie, die mit dem Putsch im November 2019 beseitigt worden sei, erklärten die Hungerstreikenden gegenüber dem bolivianischen Onlinemagazin La Época. Das Regime habe Bolivien in eine wirtschaftliche, politische und soziale Krise geführt, die nur durch eine vom Volk gewählte Regierung gelöst werden könne, unterstützte die zur MAS gehörende Senatorin Adriana Salvatierra die Forderung. Die selbsternannte »Interimspräsidentin« Jeanine Áñez, deren De-facto-Regierung die Wahl bereits zweimal verschoben hat, ist jedoch nicht bereit, sich einer Abstimmung zu stellen.
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