»Sie können uns niemals vernichten!«
Über die endlos aufgeschobenen Wahlen in Bolivien und die Verfolgung der linken MAS. Ein Gespräch mit Nardi Suxo
Interview: Tunia Erler
Mehrmals sind die Wahlen in Bolivien schon verschoben worden. Jetzt soll sie laut Wahlbehörde am 18. Oktober stattfinden. Wird es überhaupt irgendwann einmal eine Abstimmung geben?
Die selbsternannte Regierung hatte als einzige Aufgabe, innerhalb von drei Monaten Neuwahlen auszurufen. Sie hat das Datum willkürlich geändert, und selbst wir Bolivianer sind nicht sicher, ob der von ihnen vorgeschlagene 18. Oktober eingehalten wird. Dieses Datum wurde illegal festgelegt. Die Gründe, warum sie noch keine Wahlen haben wollen, sind verschieden. Sie wollen ihre Macht ausweiten, um sich weiterhin an Staatsgeldern zu bereichern. Es gibt schwerwiegende Vorwürfe von Korruption, in die sogar ein spanisches Unternehmen verwickelt sein soll. Die Pandemie wird von der De-facto-Regierung genutzt, um diese Delikte zu begehen. Ein weiterer Grund ist, dass die Mitglieder der gegenwärtigen Regierung über ihr Asyl in einem nördlichen Land verhandeln müssen, da sie für Verbrechen, die während ihrer Amtszeit begangen wurden, strafrechtlich verfolgt werden könnten.
Wie sieht der Wahlkampf der MAS (Bewegung zum Sozialismus) in Europa oder der BRD aus?
Der Wahlkampf in Europa wird von Wahlkampfleitern geführt, die Präsidentschaftskandidat Luis Arce ernannt hat, mit Aktionen aller Mitglieder und Sympathisanten der MAS, die ihre Empörung über die Verletzung der Grundrechte in Bolivien, die Todesfälle bei den sozialen Protesten, die politische und gerichtliche Verfolgung der Führer und Kämpfer der MAS, die wachsende Zahl von Exilanten aus politischen Gründen zeigen. Genauso wie über das Fehlen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, über die Zahl der politischen Gefangenen, viele von ihnen mit schwerwiegenden Anzeichen von Folter. Meine Rolle als MAS-Aktivistin besteht darin, die Arbeit der verschiedenen Gruppen zu koordinieren, die es in ganz Europa gibt und die ein einziges Ziel haben: die Wiederherstellung von Demokratie und Freiheit. Das Wahlrecht im Ausland wurde für die Bolivianer unter der Regierung der MAS erreicht, und das ist ein unwiderrufliches Recht. Das Außenministerium der De-facto-Regierung hat die Pflicht zu gewährleisten, dass alle bolivianischen Staatsbürger im Ausland wählen können. Viele unserer Botschaften in EU-Staaten sind in der Hand von Familien der De-facto-Regierung und erfüllen ihre Aufgaben nicht.
Die MAS führt in den Umfragen. Gleichzeitig sehen sich ihre Vertreter einer verstärkten Verfolgung durch die Putschisten ausgesetzt. Was ist hier in der kommenden Zeit noch zu erwarten?
Die MAS ist die größte Bewegung in Bolivien. In ihr kommen ungeachtet der Unterschiede von Klasse, Herkunft, wirtschaftlicher Situation Akademiker, Arbeiter, Handwerker, indigene Bauern und Studenten zusammen. Sie alle glauben, dass eine bessere Zukunft möglich ist. Die demokratische und kulturelle Revolution, die sich in den letzten 14 Jahren entwickelt hat, zeigt dies.
Aus all diesen Gründen will die bolivianische Oligarchie, die bis 2005 regierte, die MAS ächten. Luis Arce beispielsweise sieht sich mit drei völlig unbegründeten Anschuldigungen konfrontiert, und viele der Kandidaten für ein Abgeordnetenmandat oder das Amt eines Senators befinden sich in der gleichen Situation. Wenn Sie mich nach der Zukunft der MAS fragen, lautet meine Antwort: Sie können uns zum Schweigen bringen, sie können uns ins Gefängnis stecken, aber sie können uns niemals vernichten!
Aber wie soll es jetzt weitergehen?
Zweifellos wurden in den 14 Jahren Fehler gemacht. Wir versuchen nun zu sehen, wie wir das wieder gutmachen können. Wir sind dabei gescheitert, das Justizsystem zu verändern. Oder haben Menschen vertraut, die nur persönliche Ziele im Kopf hatten, aber keine Vision für das Land. Es ist uns zudem nicht gelungen, größere internationale Verbindungen aufzubauen. Jenseits der Fehler, die groß und klein sein können, ist es aber so, dass während der MAS-Regierung unterschiedslos für alle Bolivianer gearbeitet wurde.
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