Putschisten geben keine Ruhe
https://www.jungewelt.de/artikel/412268.boliviens-rechte-putschisten-geben-keine-ruhe.html
Oppositioneller »Bürgerstreik« in Bolivien: Linke Regierung, Gewerkschaften und Indigene halten dagegen
Von Volker Hermsdorf
In Bolivien haben Gewerkschaften, indigene Organisationen, weitere soziale Bewegungen und die linke Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) für diesen Dienstag zu landesweiten Demonstrationen »für die Verteidigung der Demokratie« aufgerufen. Die Unterstützer der Regierung des MAS-Präsidenten Luis Arce reagierten damit auf die Mobilisierung von Teilen der Bevölkerung in der Region Santa Cruz, einer Hochburg der rechten Opposition, zu »Protestaktionen« und auf einen 24stündigen »Bürgerstreik« zu Beginn dieser Woche.
Der bolivianische Gewerkschaftsdachverband COB kündigte für Dienstag mittag (Ortszeit) eine zentrale Großkundgebung in der größten Stadt des Landes, Santa Cruz de la Sierra, an, zu der auch Arce erwartet wurde. Am Wochenende hatten sich auf einer Versammlung der Gewerkschaft der Minenarbeiter in La Paz auch weitere Arbeiterorganisationen dem COB-Aufruf angeschlossen. Wie der lateinamerikanische Nachrichtenkanal Telesur meldete, riefen die Koordinationskomitees sozialer Bewegungen den Notstand aus, »da die Rechten versuchen, die gewählte Regierung zu destabilisieren«.
Am Mittwoch hatte der Sender berichtet, dass mehr als 280 Gemeindevorsteher der fünf größten Bezirke, die sich in Nachbarschaftsräten zusammengeschlossen haben, in einer Dringlichkeitssitzung vor »dem Versuch eines erneuten Umsturzes« warnen. »Diejenigen, die sich jetzt als zivilgesellschaftlich bezeichnen und zu Protesten und Streiks aufrufen«, seien »eng mit dem Staatsstreich vom November 2019 verbunden, der zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und Todesfällen geführt hat«, erklärte der Präsident der Föderation der Stadtbezirksräte von La Paz, Jesús Vera.
Organisator des oppositionellen »Bürgerstreiks« ist der Gouverneur der Provinz Santa Cruz, Luis Fernando Camacho. Der ultrarechte Politiker hatte vor zwei Jahren zu den Drahtziehern des Putsches gegen den gewählten Präsidenten Evo Morales gehört. Vorgeblich richten sich die Proteste gegen einen Gesetzentwurf, mit dem verhindert werden soll, dass illegale Gewinne nachträglich legalisiert und die Finanzierung »terroristischer Aktionen« durch rechtskonservative Unterstützer geahndet werden können. Camacho und seine Gefolgsleute bezeichnen zudem die Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beteiligte an Massakern nach dem Staatsstreich sowie die Inhaftierung der Politikerin Jeanine Áñez als »politische Verfolgung«.
Áñez, die sich nach dem Putsch selbst zur »Übergangspräsidentin« ernannt hatte, war vor sechs Monaten in Untersuchungshaft genommen worden. Ihr werden unter anderem Korruption, Bereicherung, schwere Menschenrechtsverletzungen und die politische Verantwortung für außergerichtliche Hinrichtungen durch Angehörige von Streitkräften, Polizei und Paramilitärs vorgeworfen. Laut dem Bericht einer Expertengruppe der Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR) ist das Áñez-Regime verantwortlich für die Massaker von Sacaba und Senkata, bei denen 38 Menschen getötet und mehr als hundert schwer verletzt worden waren. Boliviens Außenminister Rogelio Mayta forderte die Gegner der MAS-Regierung am Sonntag auf, sich nicht nur für Áñez, sondern auch für die Rechte der Massakeropfer einzusetzen. »Aber statt dessen wollen sie jetzt die Regierung destabilisieren, um Straffreiheit für die Täter und diejenigen zu erlangen, die die öffentlichen Kassen ausgeraubt haben«, erklärte Mayta.
Präsidentensprecher Jorge Richter warf der Opposition vor, ihre Anhänger mit dem Ziel zu mobilisieren, »Bolivien wieder in ein Blutbad zu stürzen, um erneut die Macht zu ergreifen«. Dabei bezog Richter sich offenbar auf Äußerungen von Camacho, der in der vergangenen Woche auf einer Kundgebung in Santa Cruz an die gewalttätigen Aktionen vom Herbst 2019 erinnert hatte, die dem Putsch vorausgegangen waren. Unsere »Mobilisierungen haben gezeigt, dass die Flamme des Jahres 2019 noch nicht erloschen ist«, erklärte Camacho einem Bericht der Tageszeitung La Razón vom Mittwoch zufolge und kündigte an, dass »wir diese zweite Runde gewinnen werden«.